Die Abstimmungen vom 25.09.2022 analysiert

Die nationalen Abstimmungen vom 25. September 2022 waren in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert und rufen nach einer Einstufung. Die Massentierhaltungsinitiative ist gescheitert und hinterlässt kaum Spuren für die Zukunft. Die AHV Reform wurde knapp angenommen, doch für weitere Reformen sieht es düster aus. Mit der Verrechnungssteuer ist eine weitere Steuerreform gescheitert, doch knapper als auch schon.

Die Abstimmungsergebnisse im Überblick

Massentierhaltungsinitiative: Chancenlos

Die Massentierhaltungsinitiative wurde, wie bereits im Vorfeld erwartet, klar abgelehnt und erreichte gerade einmal 37% Ja-Stimmen. Die Initiative war aus diversen Gründen nicht erfolgreich: Einerseits sind Abstimmungen gegen die geballte Macht des Bauernverbandes schwer zu gewinnen. Andererseits konnten die Initianden mit ihren Argumenten nicht bestechen. Das Argument des Tierwohles blieb nicht haften, sondern prallte an der Entgegnung der Gegnerschaft ab, man habe das strengste Tierschutzgesetz. Aber insbesondere die Möglichkeit einer Verteuerung tierischer Produkte wird der Initiative das Genick gebrochen haben.
Auffallend war insbesondere die Gegenkampagne. Verglichen mit vergangenen Kampagnen zu landwirtschaftlichen Themen war diese sehr untypisch. Das Gegenkomitee setzte auf Emojis und auffallend stark auf bereits frühe und breite Werbung auf der Videoplattform YouTube. Scheinbar wollte man damit stärker in die jüngeren Elektoratsschichten vordringen. Ob diese Strategie tatsächlich funktioniert hat, ist fraglich. Im Gegensatz zur Ja-Kampagnen konnte die Emoji-Kampagne des Nein-Lagers keine starken visuellen Messages rüberbringen, oder mit den Plakaten eine Debatte starten.
Interessanterweise konnte die Massentierhaltungsinitiative, bis auf wenige Grossstädte, nicht bis in den links-geprägten Städtischen Raum vordringen. Zwar ist ein grosser Unterschied zwischen Stadt und Land ersichtlich, aber die Initiative wurde auch in den Städten abgelehnt.

Insgesamt war der Abstimmungskampf um die Massentierhaltungsinitiative ruhig verlaufen. Insbesondere blieb die Plakatflut des Bauernverbandes, wie man sie von den beiden Agrarinitiativen kannte, aus. Der Bauernverband schien erkannt zu haben, dass die Initiative keine grosse Gefahr darstellt. Konnte die Massentierhaltungsinitiative wenigstens eine grössere Debatte um die Schweizer Tierhaltung erreichen und so langfristig positive Auswirkungen haben? Nein. Zwar erschienen im Vorfeld des Abstimmungssonntages einige Berichte zu schlechten Zuständen der Tierhaltung in Landwirtschaftsbetrieben, die Initiative und ihre Forderungen gingen aber in der grossen Debatte um die Steuer- und Rentenvorlagen unter. Ausserdem wurde die Initiative so klar abgelehnt, dass sich kaum ein politischer Akteur verpflichtet fühlt hier dringend nachzubessern.

AHV21: Krimi am Sonntag

Die AHV21 Vorlage hat sich zu einem wahren Abstimmungskrimi entwickelt. Es wurde sehr knapp. Gerade einmal 50.57 Prozent haben die Angleichung des Rentenalters auf 65 Jahre für Männer und Frauen angenommen. Es ist eine der knappsten Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit. Die Annahme der Angleichung des Rentenalters hat historischen Charakter und markiert eine potenzielle Trendwende in der Rentenpolitik. Die Befürworter waren mutig – noch nie konnten die Bürgerlichen eine AHV Reform gegen den Willen der Linken durchringen. Sie hatten hoch also gepokert und gewonnen. Die Zusatzfinanzierung der AHV über die Mehrwertsteuer war im Volk unbestritten. Ein Indiz, dass die Bevölkerung sich ein abkommen der bisherigen Politik der Sanierung über Lohnbeiträge wünscht und vermehrt auf Demographie unabhängige Finanzierungen setzen möchte.

Gemäss der Nachbefragung von LeeWas zeigt sich ein Interessantes Bild bei der Erhöhung des Rentenalters. Es war hauptsächlich ein Konflikt von Links gegen Rechts, jedoch nimmt die Zustimmung am äusseren rechten Rand wieder deutlich ab. Die Basis der SVP hat der Erhöhung nur knapp zugestimmt. Das erstaunt doch sehr, zumal die SVP klar die Vorlage befürwortete. Dass nun ein grosser Teil der Basis der Partei nicht folgte kann verschiedene Gründe haben. Eine sehr wahrscheinliche Erklärung liegt in der Zusammensetzung der Wählerbasis. Die SVP Basis beinhaltet viele Bauern und Bäuerinnen, sowie die tiefere Mittelschicht. Beide diese Schichten, speziell die Bäuerinnen, sind sehr stark auf die AHV Rente angewiesen. Es erstaunt daher wenig, dass diese spätere Leistungen ablehnen. Diese Auswertung hat direkte Implikationen für zukünftige Reformen der AHV und BVG. Die SVP Basis wird entscheidend sein für das Gelingen einer Reform welche die Leistungen kürzt. Dass die GLP und FDP Basis die höchsten Zustimmungswerte aufweist erstaunt nicht. Die beiden Parteien erhalten ihre Stimmen überproportional stark von gut ausgebildeten und überdurchschnittlich verdienenden Personen.

Nicht minder interessant ist, dass der Stadt-Land-Graben in dieser Vorlage nicht relevant war. Die Zustimmung war ungefähr gleich hoch in den unterschiedlichen Regionen. Stattdessen hat der Röstigraben diesmal extrem dominiert. In der Deutschschweiz fand die Vorlage weitestgehend Zustimmung, während die in der lateinischen Schweiz mehrheitlich abgelehnt wurden. Man erkennt auf der Karte eindrücklich genau die Sprachgrenzen zwischen, aber auch innerhalb der Kantone.

Typischerweise sind Vorlagen die den Sozialstaat betreffen, insbesondere die Renten, sehr stark von Konflikten der Betroffenheit geprägt. Er betroffen ist, lehnt sie ab, wer nicht betroffen ist, nimmt sie an. Die AHV21 Vorlage war diesbezüglich keine Ausnahme. Die Frauen lehnten die Vorlage grossmehrheitlich ab, während die Männer sie annahmen. Eine Seltenheit, dass sich die Männer gegen den Willen der Frauen durchsetzen können. Dass das Abstimmungsergebnis nun doch so knapp war, sollte das Parlament für zukünftige Reformen im Hinterkopf behalten. Eine Reform, welche Männer und Frauen betrifft und leistungskürzend ist, dürfte kaum eine Chance haben. Dies zeigt auch die Befragung von LeeWas. Auf die Frage ob man die Renteninitiative der Jungfreisinnigen unterstützt, antworten 68% Nein oder Eher Nein. Besonders stark ist die Ablehnung bei SP, Grünen und SVP, aber selbst bei der FDP Basis scheint es bislang knapp keine Mehrheit zu geben. Besser sieht es für die Initiative für eine 13. AHV Rente aus. Sie kommt gemäss der Umfrage auf eine Mehrheit von knapp 60%. Für eine Initiative welche die AHV betrifft ist dies aber noch denkbar knapp. Zu erwarten ist ein deutlicher Abfall der Zustimmung im Verlauf des Abstimmungskampfes. Daher ist auch hier ein Nein zu erwarten. Die Blockade zwischen den beiden Fronten scheint also trotz geglückter Reform weiterhin zu bestehen.

Verrechnungssteuer: Eine weitere gescheiterte Steuerreform

Die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer ist mit 52% Nein-Anteil gescheitert. Damit reiht sich die Verrechnungssteuer in vergangene Steuerreformen ein. Wie zuletzt auch bei der Stempelabgabe, konnte sich die Linke gegen die restlichen Parteien durchsetzen. Steuerreformen welche darauf ausgerichtet sind Unternehmen, insbesondere Grossunternehmen, besserzustellen und ihre Steuerlast zu senken, scheint in der Bevölkerung wiederholt keine Mehrheit zu finden. Zu wenig gut konnte die Befürworterschaft argumentieren, weshalb die Teilabschaffung notwendig sei. Dies ist insbesondere auf zwei elementare Probleme zurückzuführen: Es handelte sich um eine Teilabschaffung für Unternehmen und die Steuer hat zum erklärten Hauptziel Steuerhinterziehung zu verhindern. Es war daher denkbar schwer der Bevölkerung zu erklären weshalb eine Steuer welche Kriminalität verhindern soll, lediglich für Unternehmen abgeschafft werden soll, aber für die normale Bevölkerung bestehen bleibt.
Zusätzlich wird die Linke von der Mobilisierung für die AHV Vorlage profitiert haben. Ausserdem hat die Linke eine sehr schlaue Kampagne gefahren. Während man auf der Ja-Seite auf dystopische Bildsprache setzte, fuhr die Gegenseite eine bewährte und verbesserte Kampagne. Sie setzen auf schlichte Plakate und verzichteten auf Bildsprache. Stattdessen hingen auf die Gemeinde angepasste Plakate, die den lokalen Bezug in den Vordergrund rückten. Es handelte sich um eine angepasste Form der USR III Kampagne, welche seit damals wiederholt erfolgreich war. Der Fokus auf die lokalen Auswirkungen war hohe Kunst der politischen Kampagne.

Jedoch war das Ergebnis nicht so klar wie bei anderen Steuervorlagen der jüngeren Vergangenheit. Die Bürgerlichen konnten insofern einen kleinen Erfolg feiern. Ob dieser Trend so weiter geht ist noch offen, doch wird es wohl zukünftig spannender um die Steuervorlagen.

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